In Großbritannien machen sich Regierung und Flugbranche gegenseitig für das Reisechaos verantwortlich, das bereits zu hunderten Flugabsagen und überfüllten Passagierterminals geführt hatte. Auch hier fehlt geschultes Personal, das in den beiden zurückliegenden Jahren die Branche massenhaft verlassen hat. Es sei derzeit fast unmöglich, Personal zu finden, sagte ein Vertreter der Gewerkschaft GMB der BBC. In Deutschland seien viele Mitarbeiter in die Logistik abgewandert, sagt Thomas Richter vom Verband der Bodenabfertiger ABL.
Wegen fehlender Flugbegleiter sah sich Billigflieger Easyjet bereits zuvor zu einem drastischen Schritt veranlasst: In der britischen Teilflotte wird in diesem Sommer bei sämtlichen Flugzeugen vom Typ Airbus A319 die hintere Sitzreihe ausgebaut. Sechs Sitzplätze weniger bedeuten, dass die Airline nach geltenden Sicherheitsschlüsseln für die verbliebenen 150 Passagiere nur noch drei statt bislang vier Flugbegleiter in der Kabine einsetzen muss.
Wegen des gestiegenen Touristikanteils am Verkehrsaufkommen braut sich gerade an den Wochenenden auch in den deutschen Terminals einiges zusammen. Schon aktuell ziehen sich regelmäßig lange Schlangen durch die Hallen in Düsseldorf, Berlin oder Frankfurt. In der Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen hakt es vor allem bei den Passagierkontrollen. Die Gewerkschaft Verdi rechnet mit anhaltenden Problemen über den Sommer, da die angespannte Personallage die Mitarbeiter körperlich und psychisch belaste. Schon jetzt gebe es einen Krankenstand von mehr als 20 Prozent, sagt Verdi-Experte Özay Tarim.
Frankfurt hat wie Dauer-Konkurrent Amsterdam angekündigt, zur Entlastung des Systems den Flugplan auszudünnen, also einzelne Verbindungen zu streichen. Natürlich in enger Absprache mit den Airlines, die darüber alles andere als glücklich sind und Entschädigungen verlangen. Die niederländische KLM hat zwischenzeitlich sogar den Ticketverkauf eingestellt, um Luft für Umbuchungen zu bekommen.
Trotz Ukraine-Krieg und Rekord-Inflation gibt es einen enormen Nachholbedarf gerade bei den Privatreisenden. Bereits in der vergangenen Woche gab es laut Eurocontrol an Europas Himmel wieder mehr als 28 100 Flüge am Tag, was knapp 86 Prozent des Vorkrisen-Niveaus entspricht. Im Sommer will beispielsweise der Lufthansa-Konzern auf der europäischen Kurzstrecke wieder 95 Prozent des Vorkrisenniveaus fliegen, die Direktflugtochter Eurowings bietet sogar mehr Sitzplätze an als 2019.
Es passt da gar nicht ins Bild, dass die französische Flugsicherung bis Ende Juli wegen der Einführung eines neuen Systems ihre Kapazität verringert und Flüge in den deutschen Luftraum verlegt werden müssen. Der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport hat in der Krise rund 4000 Stellen abgebaut und darüber hinaus ungeplant Bodenpersonal verloren, das anderswo bessere Jobs gefunden hat. Auf einem weitgehend leer gefegten Rhein-Main-Arbeitsmarkt 1000 neue Leute zu finden, wird zur kaum zu bewältigenden Herausforderung. Mehr als 100 neue Leute im Monat seien kaum zu schaffen, sagt Fraport-Chef Stefan Schulte. Christian Ebner