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Greta, Corona und der Haken an Alternativen zum Fleisch: Interview mit der Rügenwalder Mühle

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Von: Stefan Stukenbrok

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Logo der Rügenwalder Mühle, Lebensmittel.
Setzt seit 2010 vermehrt auf vegetarische und vegane Produkte - die Rügenwalder Mühle. © Rügenwalder Mühle

Claudia Hauschild von der Rügenwalder Mühle spricht im Interview mit Merkur.de* über „bewusste“ Ernährung und weshalb die Corona-Pandemie für einen weiteren Boom sorgte.

München - Längst haben vegetarische und vegane Produkte einen nicht mehr wegzudenkenden Platz in den Supermarktregalen erobert, immer mehr Menschen verzichten ganz oder weitestgehend auf tierische Produkte und haben ihren Speiseplan neu ausgerichtet. Noch dominiert das Milliardengeschäft mit Fleischprodukten, doch für Unternehmen wie die traditionsreiche Rügenwalder Mühle sind die alternativen Angebote zu einer wichtigen Umsatzsäule geworden. Claudia Hauschild, Unternehmenssprecherin der Rügenwalder Mühle, sprach mit Merkur.de* darüber.

Frau Hauschild, was hat Ihr Unternehmen, das traditionell eher klassische Wurstwaren anbietet, eigentlich auf die Idee gebracht, vegetarische und vegane Produkte einzuführen? 

Anfang der 2010er Jahre bemerkten wir eine Bewusstseinsänderung in der Gesellschaft, immer mehr Menschen möchten weniger Fleisch essen; aus Gründen des Tierwohls oder der eigenen Gesundheit zuliebe. Da haben wir uns natürlich Gedanken gemacht, was diese Entwicklung für unser Unternehmen bedeutet und wie wir uns für die Zukunft aufstellen müssen. Hierzu gibt es übrigens eine schöne Anekdote von einem Termin mit dem Innovations-Team, bei dem einer der Hauptentwickler gesagt haben soll, “wie wäre es denn, wenn wir Wurst machen könnten, die nicht aus Fleisch besteht“. Und so war diese Idee wohl geboren. Hinter der Rügenwalder Mühle steht eine Gesellschafterfamilie, ein großer Vorteil. Einer unkonventionellen Idee kann so eher als in großen Konzernen Raum gegeben werden, `das probieren wir jetzt einfach mal aus’ geht einfacher mit kurzen Wegen und Rückhalt der Familie. 

Viele Faktoren sind wohl bei neuen Produkten entscheidend, Haptik und Geschmack zum Beispiel, oder? Ihre Fleischerfahrung konnten Sie doch sicherlich nicht 1:1 auf pflanzliche Produkte übertragen?

Unsere Erfahrung in der Verarbeitung von Fleisch half uns natürlich, da wir wissen, wie die Produkte schmecken müssen. An der Rezeptur unseres vegetarischen Schinken Spickers hat unsere Entwicklungsabteilung drei Jahre gearbeitet, bis das Produkt dann 2014 auf den Markt gekommen ist.

Fridays for Future und Greta Thunberg bringen das Thema vegetarische Ernährung an den Familientisch

Eine Wurst ohne Fleisch - war die Idee auch etwas den regelmäßigen Fleischskandalen, Stichwort Gammelfleisch, geschuldet? Solche Vorfälle schlagen sich ja negativ auch auf fleischproduzierende Unternehmen nieder, die seriös arbeiten. Eine zweite Schiene fahren, um diesen Effekten nicht so ausgeliefert zu sein?

Fleisch- oder überhaupt Lebensmittelskandale sind ein riesiges Thema und der deutsche Verbraucher ist diesbezüglich natürlich besonders empfindsam. Er schaut ganz genau hin. Zu recht! Schließlich handelt es sich um Lebensmittel. Dennoch war das nicht der Treiber für unsere fleischalternativen Produkte. Es ging uns eher darum, auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben. Dass unsere eingeführten Veggie-Produkte einmal so durch die Decke schießen würden, damit haben wir zu Anfang allerdings nicht gerechnet. Das hat natürlich auch mit dem Greta-Effekt zu tun. Durch die Fridays-for-Future-Bewegung wurde die vegane und vegetarische Ernährung nochmal in einen ganz anderen Kontext gestellt. Die Kinder und Jugendlichen haben das Thema an den Familientisch geholt, es wurde in den Familien nun darüber diskutiert, welchen Einfluss man selbst mit seiner Ernährung auf das Thema Klima hat. Das Thema katapultierte sich so aus der Nische in die Mitte der Gesellschaft, für uns als Familienmarke hatte dies eine extrem starke Hebelwirkung. 

Erhalten Sie von der Fridays-for-Future-Generation denn Anerkennung? Sagen die nicht eher, ‚die gehen uns nicht weit genug, die springen zwar auf den Zug auf, haben aber immer noch tierische Produkte‘?

Wenn wir uns unsere vegetarisch-vegane Zielgruppe anschauen, dann haben wir auf der einen Seite zum Beispiel eben Familien mit den sogenannten Flexitariern, die von Zeit zu Zeit bewusst Fleisch gegen eine Alternative austauschen, aber nicht komplett auf Fleisch verzichten möchten. Dann gibt es die Vegetarier, die sich immer mehr vegane Produkte wünschen, denn vegan ist als Trend das neue vegetarisch. Beide Gruppen bringen wir an einen Tisch. Das funktioniert, weil wir den Menschen keine Vorschriften machen, wie sie sich ernähren sollen. Wir machen ihnen mit unseren vegetarisch-veganen Produkten einfach nur ein Angebot. Und das wird angenommen - auch weil wir in Sachen Geschmack die Nase vorn haben. Dabei kommt uns unsere lange Tradition in der Fleischverarbeitung zugute. Wir wissen eben, wie Wurst schmecken muss. 

Ich kann mir gut vorstellen, dass die gelernte Fachkraft, deren Handwerk die Fleischverarbeitung ist, anfangs erst mal skeptisch war: Wenn das hier auf vegetarisch geht, dann bin ich ja mehr oder weniger überflüssig, etwa. Inwieweit sind die in den neuen Prozessen mit eingebunden?

Als wir mit den neuen Produkten gestartet sind und das Thema intern vorstellten, standen die Leute zunächst da und fragten sich, was das denn jetzt für eine Verrückte Idee sei. Insbesondere die Fleischermeister - das sind traditionelle Handwerker und sie lieben ihr Produkt - waren skeptisch. Fakt ist aber, dass wir gerade ihre Erfahrung und Wissen brauchen. Bei uns machen Fleischermeister auch vegetarische Produkte. Zum einem wissen sie, wie gute Wurst schmecken muss, zum anderen sind viele Prozesse in der vegetarisch/veganen Produktion denen in der klassischen Wurstproduktion ähnlich - natürlich mit anderen Rohstoffen, Zusammensetzungen und Gewürzen.

Ihr Wettbewerber Nestlé hatte vor ein paar Jahren unter der Fleischwurstmarke Herta auch eine vegetarische Wurst herausgebracht, sie dann aber wieder vom Markt genommen. Eine damalige Studie besagte, dass es sehr schwierig ist, mit einer Fleischmarke vegetarische Produkte einzuführen, weil von den Vegetariern die Kompetenz nicht zugetraut wird und umgekehrt die Fleischesser auch argwöhnisch werden. Was haben Sie da anders gemacht, dass dieses Misstrauen Ihnen gegenüber nicht vorhanden ist?

Wir sind sehr transparent, was unsere Zutaten betrifft. Das schafft Vertrauen. Hinzu kommt, dass wir die Ersten waren, die damit in den Markt gegangen sind. Anfangs wurden wir vom Wettbewerb belächelt. Nun gibt es natürlich viele Produkte im Markt, nicht für alle ist das gut gelaufen. Wir sind glaubwürdig, weil wir die Ersten waren und die Verbraucher unsere Marke schon sehr lange kennen und ihr vertrauen. 

Man hat ja auch nur einen Versuch beim Kunden. Wenn der Kunde etwas kauft und es schmeckt nicht, wird er es nie wieder anrühren.

Der Geschmack ist die größte Herausforderung bei der Produktentwicklung. Wenn ein Produkt geschmacklich nicht gut beurteilt wird, dann kann alles andere noch so perfekt sein, dann fällt das Produkt durch. 

Rügenwalder Mühle, Familienbetrieb seit 1834

Umsatz: 233,7 Millionen Euro

Mitarbeiter: 840

Sitz: Bad Zwischenahn (Niedersachsen)

Gibt’s auch Kritik von den Kunden?

Sehr viele Rückfragen bekommen wir aktuell zum Thema Verpackung. Das Plastikthema und die Nachhaltigkeitsdebatte treiben die Menschen derzeit stark um. Eine oft gestellte Frage ist, warum es unsere vegetarischen/veganen Produkte nicht an der Bedientheke gibt. 

Wie lautet die Antwort?

Dass dies nicht so einfach umsetzbar ist. Denn der Handel müsste an der Theke zwei komplett getrennte Bereiche einrichten, heißt zum Beispiel ganz praktisch, mindestens zwei Schneidemaschinen. Und das Segment ist für den Handel doch noch nicht groß genug, um neben dem Wurst- und Fleischbereich auch eine Veggie-Bedientheke einzurichten. 

Der Kunde beschäftigt sich seit der Corona-Pandemie kritischer mit seiner Ernährung

Sie sagen, der Kunde ist kritischer geworden, er achtet mehr darauf wie er sich ernährt, das Bewusstsein dafür ist in den letzten Jahren gestiegen.

Das Bewusstsein ist gestiegen, gerade während der Corona-Pandemie beschäftigen sich die Leute kritischer mit ihrer Ernährung und den Lebensmitteln, die sie kaufen. Weil sie auch mehr Zeit dafür haben. Das hat bei diesen Segmenten für einen weiteren großen Boom gesorgt. Trotzdem ist der deutsche Verbraucher ein ambivalentes Wesen. Er sagt zwar in jeder Umfrage, dass er regelmäßig Bioprodukte kauft, aber wenn Sie sich mal den Marktanteil von Biolebensmitteln anschauen, dann macht der gerade einmal 6 Prozent aus. Und bei Fleisch ist der Bio-Anteil noch viel geringer, da liegt Geflügel bei 1,5 Prozent, Rotfleisch unter 2 Prozent und Wurstwaren um die ein Prozent. Ein Prozent! Das Ganze ist so ein bisschen, das eine sagen und das andere tun. Leider!

Fleisch ist ein Lebensmittel, das preislich sehr unter Druck steht. Besonders in Deutschland. Es gibt eine Mc-Kinsey-Studie, die besagt, dass der Verbraucher im Jahr 2021 regionaler, bewusster und nachhaltiger einkaufen möchte, gleichzeitig will er aber auch um die 30 Prozent bei seinen Lebensmittelausgaben einsparen. Dieser Widerspruch ist hierzulande extrem stark ausgeprägt.

Erstaunlich, dass die Corona-Krise so ein Wachstum hervorbrachte. Für Ihre vegetarischen Bratwürstchen zahle ich so um die drei Euro, die klassische Bratwurst aus Fleisch gibt’s im 10er-Pack hingegen schon ab zwei Euro. Durch die Pandemie haben viele Leute ihren Job verloren, das Geld ist knapper und dennoch wird mehr Geld für bewusste Ernährung ausgegeben?

Lockdown-bedingt gab es auch nicht so viele andere Möglichkeiten, sein Geld auszugeben. Wenn ich zum Daheimbleiben gezwungen bin, denke ich mehr darüber nach, was ich mir selbst an Essen auf den Teller lege. Aber warum ist der Preis bei vegetarischen und veganen Produkten so, wie er ist? Ein Punkt ist, dass wir im Bereich vegetarisch/vegan eine sehr angespannte Rohstoffsituation haben. Die pflanzlichen Rohstoffe werden gerade weltweit extrem stark nachgefragt und der Bedarf kann gar nicht in vollem Maße befriedigt werden. Es gibt also nicht genügend Rohstoffe für alle, das macht es natürlich erstmal teuer.

Rügenwalder Mühle setzt vermehrt auf eigenen Soja-Anbau in Deutschland

Deswegen überlegen Sie, in Zukunft verstärkt selbst anzubauen?

Ja. Wir haben letztes Jahr den ersten Test mit Soja-Anbau in Deutschland gemacht und dieses Jahr verdoppeln wir die Menge. Die Produktion dieser Rohstoffe ist viel aufwendiger als die Herstellung von Fleischwaren, um eben diese gleiche Konsistenz, Geschmack, Farbe und Haltbarkeit zu erreichen. Man muss auch viel mehr Gewürze einsetzen. Auch die entstandenen Entwicklungskosten fließen mit ein. Fleisch ist eines unserer ältesten Lebensmittel, die Fleischwirtschaft ist sehr gut organisiert. Riesige Mengen, ausgereifte Technik. Sie hat eine ganz andere Effizienz, das schlägt sich dann natürlich auch im Preis nieder.

Es gab vor einiger Zeit die Diskussion darüber, ob das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) angehoben werden soll. Ein Argument lautet, gerade ärmere Leute können sich eine gesunde oder bewusstere Ernährung nicht leisten. Ich behaupte mal, ein arbeitssuchender Bürger kann sich keine vegetarischen oder veganen Produkte von der Rügenwalder Mühle leisten. Gibt es Überlegungen, diesbezüglich etwas im preisgünstigeren Segment anzubieten?

Ich glaube nicht, dass wir als Rügenwalder Mühle die Hebel haben, um das Problem zu lösen. Es ist eher eine Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass auch Menschen mit geringeren finanziellen Mitteln die Möglichkeit bekommen, sich bewusst zu ernähren. 

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Alternativprodukte zu Fleisch: Nicht zwingend gesünder, sondern bewusster

Wenn ich mir ihre Verpackungen anschaue, da ist alles detailgetreu aufgeführt. Aber es sind viele Sachen dabei, die ich in einem natürlichen Produkt so nicht vorfinden würde. Sie sagen ja auch, es muss mehr gewürzt werden. Mehr Salz, mehr Gewürze generell. Ist das denn gesünder als klassische Fleischprodukte?

Gesünder habe ich hoffentlich nicht gesagt – bewusster, das ist ein wichtiger Unterschied! Wir haben nie damit geworben, dass wir gesünder sind. Es geht tatsächlich um bewusste Entscheidungen. Wenn Sie jetzt zum Beispiel unsere Teewurst nehmen, die hat einen Fettgehalt um die 30 Prozent. Das ist ein Genussmittel, wenn Sie so wollen. Es geht darum, dass der Verbraucher die Wahl hat zwischen unterschiedlichen Produkten. Und da bieten wir reichlich Optionen. Ich bin jemand, der hinten auf die Zutatenliste guckt. Das kann ich allen Verbrauchern nur ans Herz legen, einfach genau schauen, was in einem Lebensmittel drinsteckt. Wir arbeiten daran, unsere Zutatenliste so kurz wie möglich zu halten und räumen auch weiter auf, wenn wir merken, da haben wir eine Weiterentwicklung, da können wir besser werden. Nur so wenig wie möglich und so viel wie nötig.

Die Reihenfolge ist also erstmal, es muss überzeugend schmecken. Wenn das erreicht ist, kann man weitersehen und gegebenenfalls bei den Zutaten etwas reduzieren?

Bevor ein Produkt am Ende beim Handel im Regal liegt und beim Verbraucher im Einkaufswagen landet, arbeiten wir im Durchschnitt 18 Monate daran. Die größte Herausforderung ist der Geschmack. Wenn man da nicht überzeugt, überzeugt man mit den anderen Dingen auch nicht. Wir haben Produkte mit Fleisch, wir haben Produkte ohne Fleisch und unser Ziel ist, qualitativ hochwertige, leckere Produkte anzubieten.

Haben Sie für die Zukunft Pläne, was es dann da noch an Innovationen geben kann?

Die haben wir! Aber die kann ich Ihnen jetzt natürlich nicht im Detail verraten. Seit mehreren Monaten gibt es die vegetarischen Mühlen-Snacks. Das ist das erste ungekühlte Produkt, bestens für unterwegs geeignet, erhältlich an Tankstellen, Raststätten oder auch im Kino. Mit oder ohne Brotteigmantel.

Ich habe gelesen, letztes Jahr war der Umsatz von Ihren vegetarischen Produkten höher als der von den klassischen Fleischprodukten?

Nur im Monat Juli. Im gesamten Vorjahr lagen die Fleischprodukte eine minikleine Nasenspitze vorn. Wir gehen aber davon aus, dass der vegetarische Geschäftsbereich dieses Jahr hier überholen wird.

Vielleicht kehrt sich irgendwann der Trend herum, Fleisch wird zum Luxusprodukt und dann kostet das Fleischersatzprodukt 2 Euro und die Fleischwurst 3 Euro.

Ja klar, das kann sein, dass sich irgendwann das Rad dreht.

*Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA

Stefan Stukenbrok

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