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Klimaneutralität: Politik muss schädliche Banken-Blockade in den Griff bekommen

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Michael Hüther
Prof. Michael Hüther: Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler (Jahrgang 1962) ist seit 2004 Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. © N. Bruckmann/M. Litzka/dpa

Mit der EU-Taxonomie riskiert die Kommission, ein moralisches Risiko auf Banken und Kapitalgeber zu übertragen. Es mangelt an Technologieoffenheit und Vertrauen in die marktwirtschaftliche Ordnung, schreibt der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Prof. Michael Hüther, im Gastbeitrag.

Köln - Dass wir unser Leben künftig klimaneutral gestalten müssen, ist weitestgehend unstrittig. Für schier endlose Debatten und ideologisch aufgeheizte Diskussionen sorgt derweil der Weg dorthin – zuletzt erzürnte die EU zahlreiche Gemüter mit ihrer sogenannten Taxonomie, die bestimmte Wirtschaftsaktivitäten auf Basis technischer Kriterien als ökologisch-nachhaltig klassifiziert.

Neben vorhandenen realwirtschaftlichen Instrumenten wie dem Emissionshandel soll die Taxonomie einen verbindlichen und transparenten Nachhaltigkeitsstandard auf dem Finanzmarkt etablieren. Kapitalgeber und -nehmer sollen eine einheitlich Entscheidungsgrundlage erhalten, um einzuschätzen, was dabei hilft, den Green Deal der EU umzusetzen. Das soll Informationsasymmetrien aufheben und Greenwashing vermeiden. Strittig ist derzeit hierzulande die Frage, unter welchen Bedingungen und Vorzeichen Brückentechnologien wie Gas und die CO2-neutrale Kernenergie einzuordnen sind.

Stimme der Ökonomen

Klimawandel, Lieferengpässe, Corona-Pandemie: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona*-Hilfen* und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?

In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.

Finanzmarktakteure mit moralischer Gefallsucht

Konsens besteht darüber, dass wir auf dem Weg zur Klimaneutralität auf Technologien angewiesen sind, die jetzt noch nicht klimaneutral arbeiten. Ohne diese Brückentechnologien ist die Energieversorgung nicht gesichert. Gleichzeitig bewegen sich Politik, Banken und Investoren in einem Spannungsfeld, in dem es an Technologieoffenheit und Vertrauen in die marktwirtschaftliche Ordnung mangelt. So werden immer öfter Unternehmer bei der Finanzierung benachteiligt, weil sich Finanzmarktakteure kaum aus der Deckung trauen und gelegentlich sogar einer Art moralischen Gefallsucht zu unterliegen scheinen.

Es widerspricht beispielsweise jeglicher Logik, Papierproduzenten nötige Mittel für energetische Modernisierungen ihrer Produktionsstraßen zu verweigern oder Tankstellenbetreiber nicht dabei zu unterstützen, wenn sie in Schnellladestationen investieren wollen – jeweils mit der Begründung, das angestammte Geschäftsfeld sei nicht nachhaltig. Dabei agieren die Banken hier so, als verfügten sie über branchenspezifisches Wissen, das sie wiederum nicht haben können – weil sie es bisher nicht erhoben haben. Folglich lassen sie sich bei ihrer Entscheidung eher von Moralurteilen leiten.

Transformation kann nur gemeinsam gelingen

An dieser Stelle ist die Politik gefordert, Steuerungsinstrumente wie die Taxonomie so flexibel und offen zu gestalten, dass eine gemeinsame Transformation in die Klimaneutralität gelingen kann. Ziel muss sein, dass alle Beteiligten – Industrie, Banken, Interessensvertreter, Verbände – an einem Strang ziehen und nicht die einen sich moralisch erheben, während die anderen auf der Strecke bleiben. Merkur.de ist Teil von IPPEN.MEDIA

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