100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr: Ende des deutschen Schwarzfahrens

Der Ukraine-Krieg hat eine Zeitenwende in Berlin ausgelöst - das gilt auch für die Verteidigungspolitik. Mit Milliarden-Investitionen will Bundeskanzler Olaf Scholz die Bundeswehr wieder fit machen. Doch der Ansatz, die Streitkräfte im Rahmen eines Sondervermögens - und damit am Haushalt vorbei - zu finanzieren, ist fragwürdig, schreibt Prof. Dr. Friedrich Heinemann vom ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung im Gastbeitrag.
Mannheim - Donald Trump hat die Europäer in seiner Amtszeit mit vielen ungerechtfertigten Attacken gereizt. Zumindest ein Trumpscher Vorwurf traf jedoch immer ins Schwarze: Deutschland verhält sich seit langem als Trittbrettfahrer am Schutz der Nato. Während die USA knapp vier Prozent ihrer hohen Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben, dümpeln die deutschen Verteidigungsausgaben bislang bei 1,4 Prozent dahin. Die Zwei-Prozent-Marke ist ein im Jahr 2014 vereinbarter Zielwert, auf den sich die Nato-Staaten „zubewegen“ sollen.
Überfällige Modernisierung der Bundeswehr
Der russische Überfall auf die Ukraine hat auf dramatische Weise signalisiert, welche Folgen eine unzureichende Abschreckungskapazität haben kann. Die Bundesregierung hat infolgedessen eine rasche Kehrtwende eingeleitet und eine Modernisierung der Bundeswehr und Erfüllung des Nato-Zieles angekündigt. Zu diesem Zweck soll ein schuldenfinanziertes Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro errichtet werden, aus dem der Bundeswehr in den kommenden Jahren die bislang fehlenden Mittel zufließen sollen. Wie ist dieser Ansatz zu beurteilen?
Stimme der Ökonomen
Klimawandel, Lieferengpässe, Corona-Pandemie: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?
In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen ab sofort Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.
Das rasche Signal Deutschlands, in Zukunft wieder einen substanziellen Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit der Nato zu leisten, ist ein überaus wichtiges Signal im strategischen Verhandlungsspiel mit Russland. Sofern das russische Handeln noch rationalen Kalkülen zugänglich ist, verlieren durch eine leistungsfähigere Nato in Zukunft mögliche russische Aggressionspläne gegen die baltischen Nato-Staaten an Wahrscheinlichkeit. Damit dienen die zusätzlichen Mittel dem Kollektivgut der Friedenssicherung in Europa.
Modernisierung der Bundeswehr: Fragwürdiger Finanzierungsvorschlag
Das jetzt vorgesehene zusätzliche Finanzvolumen des Sondervermögens von 100 Milliarden Euro ist für einen Zeitraum von etwa vier Jahren in der Höhe angemessen, um damit die deutschen Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent anzuheben. Aktuell fehlen pro Jahr etwa 20 bis 25 Milliarden Euro bis zur Nato-Zielmarke. Noch höhere Summen würden kurzfristig auch wenig Nutzen stiften, weil Beschaffungsvorhaben für komplexe Waffensysteme ohnehin jahrelange Prozesse sind.
Zu kritisieren ist der vollständige Verzicht auf eine reguläre Haushaltsfinanzierung. Wie für ihre klimapolitischen Ausgaben verfolgt die Bundesregierung nun schon wieder den politisch verlockenden Weg, die Vorgaben der Schuldenbremse durch kreative Buchführung einfach zu umgehen. Selbst wenn dafür extra das Grundgesetz geändert wird, schadet dies der Budgettransparenz und ist für die Verteidigungsausgaben noch weniger zu vertreten als für die Klimaausgaben.
Klimaausgaben stiften einen Nutzen, der sich erst über Jahrzehnte einstellt. Verteidigungsausgaben schaffen unmittelbar in der Gegenwart Sicherheit. Es gibt daher keine überzeugenden Argumente, die Finanzierungsbürde für eine funktionsfähige Bundeswehr auf zukünftige Generationen zu verlagern.
Modernisierung der Bundeswehr: Verengter Blickwinkel
Falsch an der neuen Verteidigungsfinanzierung ist außerdem die immer noch viel zu stark nationale Perspektive. Die Verteidigungspolitik der EU-Staaten bleibt hochgradig zersplittert und damit unnötig kostspielig. Eine Vielzahl an unterschiedlichen Waffensystemen und unnötige Parallelstrukturen verursachen immense Kosten, ohne dass dem ein zusätzlicher Nutzen in Form einer höheren Einsatzfähigkeit gegenüber steht.

Die Bundesregierung sollte einen Teil der Zusatzmittel besser über den EU-Haushalt in den Aufbau europäischer Streitkräfte stecken. Dies würde nicht nur Kosten sparen, sondern noch dazu dem Rückfall in nationales Trittbrettfahren einen Riegel vorschieben.
Zum Autor: Prof. Dr. Friedrich Heinemann leitet den Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg.
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