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Warum Produkte nicht länger halten dürfen

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Künstliche Schwachstellen in Produkten sollen den Umsatz ankurbeln. © dpa

München - Die Glühbirne brennt durch, der Tintenstrahldrucker gibt den Geist auf. Da muss ein neues Ding her. Um den Umsatz anzukurbeln, bauen Unternehmen künstliche Schwachstelle in Produkte ein.

Sie trafen sich in einem Hinterzimmer in Genf, hohe Herren in Nadelstreifen, an Weihnachten 1924 – und es ging verschwörerisch zu. Am Tisch saßen die größten Glühbirnen-Fabrikanten der Welt: Firmen wie Osram, Philips und andere Riesen. Ihr Problem: die Glühbirnen. Sie leuchteten zu lange – bis zu 2500 Stunden. Und das war schlecht fürs Geschäft. Also beschlossen die Herren das vorzeitige Ableben ihrer Produkte: Nur 1000 Stunden sollten die Birnen strahlen, mehr war bei Strafe untersagt. Dazu gründete man das Phoebus-Kartell – ausgerechnet zum Fest des Lichts.

1942 flog alles auf, ein Gericht verbot die verkürzte Lebensdauer. Doch mit den Glühbirnen änderte sich kaum etwas. An der Praxis so mancher Konzerne, ihre Produkte gezielt einen frühen Tod sterben zu lassen, auch nicht. Technisch gesehen, könnten Glühfäden heute 100 000 Stunden glimmen – elfeinhalb Jahre am Stück. Doch solche Super-Glühbirnen, die längst patentiert sind, werden vom Markt ferngehalten. „Geplante Obsoleszenz“ nennen es Fachleute, wenn Unternehmen künstliche Schwachstellen in Produkte einbauen. Und so etwas gibt es nicht nur bei Glühbirnen.

Wütende Einträge im Internet

Belegt ist der Fall eines Tintenstrahldruckers von Epson, der nach einer gewissen Zahl von Ausdrucken den Geist aufgab – weil ein Chip mitzählte und eine falsche Fehlermeldung produzierte. Reparatur viel zu teuer, hieß es dann in der Werkstatt, man riet zur billigeren Neuanschaffung. Mit der richtigen Software hätte man den alten Drucker leicht wieder in Schuss gebracht. Der IT-Gigant Apple indes wurde 2003 von tausenden Kunden per Sammelklage vor Gericht gebracht, weil er in seine iPod-Abspielgeräte bewusst Akkus mit kurzer Lebensdauer installiert hatte, die unaustauschbar waren. Der Konzern umging ein Urteil, indem er sich außergerichtlich mit den Klägern einigte.

Noch heute keimt bei Verbrauchern regelmäßig der Verdacht auf, dass der frühe Defekt ihres Geräts kein Zufall sein könne. Im Internet lassen sie ihrer Wut auf Blogs, in Foren und Videos freien Lauf. „Kaum erlischt bei einem Produkt die Gewährleistung, schon geht es kaputt“, schimpfte einst Stefan Schridde, 50, Diplom-Betriebswirt aus Berlin. Wenn er dann am Kundendienst-Schalter reklamierte, hieß es meist: „Das ist ein Ausnahmefall.“ Doch in seinem Bekanntenkreis hörte er ebenfalls von Defekten kurz nach Ablauf der Garantiezeit.

Schridde glaubte: „Es ist extra kaputtgegangen.“ Das erschütterte sein Weltbild: Schridde ist ein Mann, der Qualität lehrt, in Seminaren für Manager und Selbstständige. „Es kann nicht sein, dass ich anderen beibringe, wie sie ihre Produkte verbessern – und gleichzeitig werden diese absichtlich verschlechtert.“ Also setzte er sich an seinen PC und durchforstete das Internet. Und wurde fündig. Er stieß auf unzählige Berichte von Verbrauchern und Insidern, die seinen Verdacht erhärteten.

Nach sechs Jahren geht das Getriebe kaputt

An sich ist das keine Überraschung. Der Kapitalismus ist auf ständigen Konsum angewiesen – ohne ihn kein Wachstum. Schon in den 1920er-Jahren, als die Weltwirtschaftskrise keimte, suchte die Wirtschaft verzweifelt nach Wegen aus der Flaute. Die geplante Obsoleszenz erschien als perfekter Motor, um den Konsum anzukurbeln.

Heute haben wir uns daran gewöhnt, kaputte Produkte gleich zu entsorgen: Wir leben in der Wegwerfgesellschaft. Geplante Obsoleszenz gehört zum System. Da verwundert es kaum, dass sie sogar an deutschen Universitäten gelehrt wird – das berichtet der Berliner Ingenieur und Soziologe Wolfgang Neef, 68, einst Vizepräsident der TU Berlin. Noch heute unterrichtet er angehende Produktentwickler in Berlin und Hamburg – und diskutiert mit ihnen über ihre Verantwortung. Von denen bekommt er Erstaunliches zu hören: „Sie sagen, dass sie bei manchen Dozenten lernen: Ein Getriebe baut man so, dass es sechs Jahre hält und danach kaputtgehen soll. Und dann darf möglichst keiner rankommen zum Reparieren.“ Viele Studenten empöre das, sagt Neef. „Zu Recht.“

"System der Obsoleszenz von unten angreifen"

Eigentlich müsse es ja im professionellen Interesse eines Ingenieurs liegen, dass sein Produkt lange hält. Neef sieht den Schwarzen Peter vor allem bei manchen Lehrbeauftragten aus der Industrie, die mehr Wert auf Rendite legten als auf den Nutzen für die Kunden. „Es wird leider vieles gelehrt, was der Ethik widerspricht“, sagt er. „Gleichzeitig wurde dem Kunden erfolgreich eingeredet: Konsum macht glücklich. Dazu passt die geplante Obsoleszenz.“ An der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität werde das Thema zwar besprochen, aber nicht gelehrt, teilt Dietmar Harhoff mit, Leiter des Instituts für Innovationsforschung und Technologiemanagement. Christoph Maurer, Professor für Produktentwicklung an der Hochschule München, sagt: „Wir ermutigen unsere Studenten dazu, den konstruktiv geplanten, unnötigen Ausfall eines Produktes nicht einzusetzen und diskutieren das Thema eher auf einer philosophischen Ebene. Wir sind der Auffassung: Das macht man aus verschiedenen Gründen nicht mehr.“

Maurers Kollege Frank-Martin Belz, Professor für Nachhaltigkeitsmarketing an der Technischen Universität München, erklärt: „In meinen Vorlesungen geht es darum, möglichst langlebige und kreislauffähige Produkte in den Markt einzuführen.“ So argumentiert auch Neef in seinen Vorlesungen. Sein Appell: „Wir müssen als Ingenieure das System der Obsoleszenz von unten angreifen.“ Das Bewusstsein seiner Studenten habe sich auch schon verändert: „Die wollen mit ihrer Arbeit nicht so vermarktet werden.“ Ein erster Schritt wäre ihm zufolge, „dass Technik wieder so konstruiert wird, dass sie reparabel und wieder verwendbar ist.“

"Dann hilft nur noch wegschmeißen"

Andernorts formiert sich der Widerstand der Verbraucher – vor allem im Internet. So ist aus Stefan Schriddes Recherche längst „eine Art Ehrenamt“ geworden, wie er sagt. Seit fünf Jahren engagiert er sich, hat Kontakte geknüpft mit mehr als 1500 Menschen. Gerade hat er seine Verbraucher-Webseite murks-nein-danke.de gestartet. Die soll Verbraucher und Firmen an einen virtuellen Tisch bringen – und eine Debatte in Gang. Außerdem hätte er gerne einen deutschen Ableger der amerikanischen Schrauber-Community ifixit.com (von englisch „I fix it“ – „Ich repariere es“). Dort helfen sich Konsumenten selbst, indem sie Reparaturanleitungen für andere ins Netz stellen – gratis.

Einer, der schon viele solcher Anleitungen für die Reparatur-Plattform verfasst hat, ist Markus Weiher, 43, ein Technikfreak aus dem mittelfränkischen Weisendorf. Früher gab es kaum ein Handy oder einen Computer, die Weiher nicht wieder flott bekam. Aber in letzter Zeit beobachtet er einen neuen Trend: „Geräte und Akkus werden oft so miteinander verklebt, dass sie nicht mehr einzeln repariert werden können. Geht ein Handyakku nicht mehr, ist das ganze Telefon Schrott. Dann hilft nur noch wegschmeißen.“ Auch so geht geplante Obsoleszenz.

Ein Paradebeispiel für ein Produkt der Wegwerfgesellschaft ist das kleinste Mitglied von Apples iPod-Familie, der „Shuffle“. Geht bei der vierten Generation der Akku kaputt, kostet die Reparatur mehr als ein neues Gerät: laut Apple 56,90 statt 49 Euro. Aber warum beschweren sich so wenige Verbraucher? Das liege am erfolgreichen Marketing, sagt Steffen Holzmann, 32, von der Deutschen Umwelthilfe, ein Spezialist für Öko-IT. „Die kurzen Produktlebenszyklen sind bei vielen fest im Kopf verankert. Ein Handy hält eben nur noch zwei Jahre. Wir fühlen uns nicht verschaukelt, wir freuen uns eher, etwas Neues zu bekommen.“ Dabei seien Produkte mit eingebautem Verfallsdatum „ein ökologischer Wahnsinn“, sagt Holzmann.

Schwarze Schafe unter den Recyclern

Wer ständig neue Geräte anschafft, verschwendet nicht nur wertvolle Ressourcen: Er trägt auch dazu bei, Berge von Elektroschrott anzuhäufen – die nicht selten in Dritte-Welt-Länder abgeschoben werden. Denn: „Die Entsorgung unserer Altgeräte wird oft an Subunternehmer ausgelagert. Und in der langen Kette von Recyclern verstecken sich leider immer wieder schwarze Schafe, die den Schrott dann meistbietend ins Ausland verkaufen.“ Die Bilder von Kindern in Ghana, die auf Elektronik-Müllhalden giftige Kunststoffe verbrennen, um an Edelmetalle zu kommen, haben schon viele Menschen der westlichen Welt erschüttert – aber nicht genügend bewusst gemacht, dass jener Müll von uns stammt. So sehen manche die Dokumentation über die Müllkinder gedankenlos auf dem gerade neu gekauften Flachbildfernseher in High-Definition-Auflösung an.

Erstaunlich: Dem Bundesministerium für Verbraucherschutz liegen „keine konkreten Fälle von geplanter Obsoleszenz vor“. Auf Anfrage teilen die obersten Verbraucherschützer mit: „Liegt tatsächlich ein Mangel nach Ablauf der Gewährleistungsfrist vor, besteht gegebenenfalls die Möglichkeit, den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten.“ Bei Verdacht auf geplante Obsoleszenz rät das Ministerium den Konsumenten, sich an eine Verbraucherzentrale oder einen Anwalt zu wenden. Den Weg über Gesetze hat auch Wegwerf-Gegner Schridde ins Auge gefasst. Der Berliner plant eine Petition an den Bundestag: Er will einen gesetzlichen Schutz vor vorsätzlichen Schwachstellen in Produkten. „Ich bin noch auf der Suche nach Juristen, die mich dabei unterstützen wollen“, sagt er. Schridde ist zuversichtlich: „Immerhin geht es um unser aller Lebensqualität.“

Armin Forster

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