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"Wir leiden wirklich": Polnischer Braunkohle-Tagebau Turów hat Auswirkungen auf tschechische Dorfbewohner

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Braunkohle-Tagebau in Turow in Polen
Braunkohle-Tagebau in Turów in Polen © Slavek Ruta / IMAGO

Seit 18 Jahren beobachtet der tschechische Physiklehrer Karel Rehak, wie der Wasserspiegel in seinem Brunnen stetig abnimmt.

"Ich bin 2001 hergezogen und das Wasser war fantastisch. Zwei Jahre später ist der Wasserspiegel in meinem Brunnen um einen Meter gesunken," erinnert sich Rehak. Auch das Graben in die Tiefe brachte ihm nichts. Der Lehrer lebt in Horni Vitkov; das Dorf liegt direkt hinter der Grenze zu Polen.

Den Grund für sein Wasserproblem sieht er auf der anderen Seite der nahegelegenen Grenze zu Polen. Dort liegt der Braunkohletagebau Turów, der sich über 28 Quadratkilometer hinweg erstreckt. In Turów werden große Mengen Wasser abgepumpt, damit er nicht vollläuft.

Der Tagebau im Dreiländereck Tschechien, Polen und Deutschland versorgt ein Kraftwerk, das rund sieben Prozent des in Polen verbrauchten Stroms liefert. Und er sorgt für heftigen Streit zwischen Prag und Warschau.

Die Beschwerden der Anwohner veranlassten die tschechische Regierung dazu, Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einzureichen. Der ordnete daraufhin im Mai per einstweiliger Verfügung einen sofortigen Förderstopp an. Es sei "ausreichend wahrscheinlich", dass der Ausbau des Tagebaus "negative Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel" im benachbarten Tschechien habe.

Doch die polnische Regierung reagierte einfach nicht. Prag forderte den Europäischen Gerichtshof daher auf, für jeden Tag, den der Tagebau geöffnet bleibt, ein Bußgeld von fünf Millionen Euro gegen Polen zu verhängen. Die beiden Staaten verhandeln nun seit Juni über einen Kompromiss. Die finale Entscheidung des EuGH steht noch aus.

Die Fronten sind verhärtet: Der polnische Energiekonzern PGE, mehrheitlich im Staatsbesitz, will den Kohleabbau bis 2044 verlängern. Dafür soll der Tagebau um fünf Quadratkilometer erweitert und auf bis zu 330 Meter vertieft werden. Das polnische Umweltministerium hatte die Betriebserlaubnis dafür im März 2020 um sechs Jahre verlängert.

Die EU-Kommission schaltete sich ein; sie kritisierte im Dezember, Polen habe die Umweltfolgen unterschätzt und seine Nachbarn falsch informiert. Tschechien argumentierte in seiner Klage, Polen habe gegen die EU-Richtlinie zur grenzüberschreitenden Prüfung der Umweltverträglichkeit verstoßen.

Auch Deutschland ist betroffen - im benachbarten sächsischen Zittau könnte der Grundwasserverlust zu einer Senkung des Bodens führen, so die Sorge. Dazu befürchten die Menschen Lärm und Staub. Oberbürgermeister Thomas Zenker erklärte am Tag der EuGH-Entscheidung, er hoffe, dass diese auch den Freistaat und die Bundesregierung zum Handeln bringe. "Man hat mir und auch den Landtagsabgeordneten bislang lieber zu mehr Diplomatie geraten."

Michael Canov, Bürgermeister der nahe gelegenen tschechischen Stadt Chrastava, glaubt nicht daran, dass Polen den Tagebau in naher Zukunft schließen wird. Zumindest könne der Nachbarstaat aber bei der Finanzierung neuer Wasserleitungen in der Region helfen. "Bei uns haben weder die Stadt noch die örtlichen Wasserwerke das Geld dafür", sagt er. Canov hofft, dass die Verhandlungen zwischen Prag und Warschau hier Bewegung bringen. "Es wäre am besten, wenn Sie mit dem Bau im nächsten Jahr beginnen" sagt Physiklehrer Karel Rehak. "Wir leiden wirklich."

slm/ilo

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