Sieben Milliarden Euro ist die Summe, um die sich Wirecard-Aktionäre geschädigt fühlen. Schon der finanzielle Umfang signalisiert Bedeutsames. Die Fondsgesellschaft Union Investment als Kläger will aber auch deshalb Rechtsklarheit und keine außergerichtliche Einigung, weil es um eine grundsätzliche Frage geht. Können Aktionäre bei einer Insolvenz mit Banken und anderen Kreditgebern unter Umständen gleichgestellte Gläubiger sein? Bislang sind sie es nicht und gingen damit bei der Wirecard-Pleite mutmaßlich leer aus.
„Die Frage ist, wer am Ende die Zeche bezahlt“, brachte es ein Jaffé-Anwalt auf den Punkt. Wirecard ist nicht nur der erste hierzulande pleite gegangene Dax-Konzern. Vieles spricht auch für eine Kriminalinsolvenz in bisher nicht gekannter Dimension.
Wenn es um die Insolvenzmasse geht, also den Zugriff auf das nach der Pleite übrig gebliebene Konzernvermögen, bevorzugt das deutsche Insolvenzrecht aber bislang Banken oder Anleihegläubiger. Erst werden ihre Ansprüche bedient, bevor andere zum Zug kommen. Insolvenzverwalter Jaffé hat zwar bislang gut eine Milliarde Euro an Werten gesichert. Die Ansprüche kreditgebender Banken und Anleihegläubigern betragen aber ein Dreifaches dessen. Für Aktionäre mit ihren bislang nachrangigen Ansprüchen von weiteren sieben Milliarden Euro bliebe also nichts mehr übrig.
Das könnte sich erst ändern, würden sie Banken und anderen Fremdkapitalgebern gleichgestellt. Darum wird nun in erster Instanz gestritten. „So etwas ist höchstrichterlich noch nicht geklärt“, stellt Richterin Susanne Lukauer vom Landgericht München fest. Auch ihr ist klar, dass – egal wie ihr Urteil am Ende lautet – der Fall bis vor den Bundesgerichtshof als letzter Instanz durchgefochten wird. Denn er soll nach dem Willen aller Beteiligten Rechtsgeschichte schreiben.
Anleger wie Union Investment hätten niemals Wirecard-Aktien gekauft, wäre man vom Konzern nicht über die wahre bilanzielle Lage getäuscht worden, argumentierte ein Anwalt der Fondsgesellschaft. Insofern sei man als Aktionär genauso betrogen worden wie eine Bank, die ihren Kredit nur durch Vorspiegelung falscher Tatsachen ausgereicht habe.
Bei einem Betrugsfall diesen Ausmaßes ziehe das Insolvenzrecht, das Betroffene in Ränge einteilt, eben nicht mehr. Dort werde davon ausgegangen, dass Unternehmen integer und nicht kriminell gemanagt werden.
Jaffés Anwälte sehen das anders. Auch bei einem schweren Betrugsfall gelte das Insolvenzrecht unvermindert, beharren sie. Schließlich hätten Aktionäre auch bei Wirecard die Chance gehabt, mit Gewinn auszusteigen. Kreditgebende Banken dagegen hätten ein solches Wertsteigerungspotenzial grundsätzlich nicht und würden deshalb zu Recht bevorzugt, wenn es um Zugriff auf die Insolvenzmasse geht. Es könne schon sein, dass Aktionäre Anspruch auf Schadenersatz hätten, aber gegenüber Kreditgebern eben nur einen zweitrangigen.
„Es ist eine spannende Rechtsfrage“, bekannte Richterin Lukauer. Zuvor hatte sie sich eine Stunde lang die Rechtsmeinungen der Kontrahenten angehört und zuvor auch schon sich widersprechende Rechtsgutachten beider Streitparteien erhalten. Eine erste eigene Rechtsauffassung wie bei Verhandlungen sonst oft üblich, ließ die Richterin nicht erkennen. Am 23. November will sie ihr Urteil verkünden, das dann von der unterlegenen Partei so gut wie sicher angefochten wird. Ganz am Ende bleibt dann entweder alles beim Alten mit Aktionären als nachrangig Schadenersatzberechtigten oder aber die Geschichte des deutschen Wirtschaftsrechts zerfällt einmal in eine Zeit vor und eine nach Wirecard.
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