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Wirecard-Sammelklage: Milliarden-Ansprüche auf Schadenersatz – Diesen Schritt plant große Kapitalmarkt-Kanzlei

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Von: Thomas Schmidtutz

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Die Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München: Der Fall könnte zum größten Anleger-Schadenersatzverfahren in der deutschen Nachkriegsgeschichte werden.
Die Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München: Der Fall könnte zum größten Anleger-Schadenersatzverfahren in der deutschen Nachkriegsgeschichte werden. © dpa/Peter Kneffel

Nach der Insolvenz des Zahlungsdienstleisters Wirecard wird die Liste der Schadenersatz-Ansprüche gegen das DAX-Unternehmen immer länger. Eine bekannte Kapitalmarkt-Kanzlei bereitet weitere Schritte vor.

München - Nach der Insolvenz des Zahlungsdienstleisters Wirecard wird die Liste der Schadenersatz-Ansprüche gegen das DAX-Unternehmen immer länger. Alleine bei der auf Kapitalmarktverfahren spezialisierten Tübinger Kanzlei Tilp haben sich inzwischen rund 47.000 Wirecard-Aktionäre gemeldet. Hinzu kämen weitere 2000 bis 3000 Interessenten, deren Ansprüche in den Datenbanken noch erfasst und ausgewertet werden müssten, erklärte Rechtsanwalt Andreas Tilp am Donnerstag gegenüber der Ippen-Digital-Zentralredaktion.

Wirecard-Anleger melden im Schnitt rund 50.000 Euro Schaden

Nach einer ersten Auswertung liege der bislang gemeldete Schaden im Schnitt je Fall bei rund 50.000 Euro, sagte Tilp. Dies entspreche einem möglichen Forderungsvolumen von rund 2,5 Milliarden Euro. Hinzu kämen die teils deutlich höheren, bearbeiteten Forderungen der bislang rund 200 institutionellen Investoren. Sie summierten sich auf weitere vier Milliarden Euro.

Das mögliche Schadenersatzvolumen von insgesamt über 6,5 Milliarden Euro liege damit schon jetzt „deutlich über dem Forderungsvolumen ähnlicher Fälle wie der HypoRealEstate“, sagte Tilp. Noch Mitte Juni hatten die kumulierten Schadenersatz-Ansprüche der Wirecard-Aktionäre der Tübinger Kanzlei bei insgesamt rund 780 Millionen Euro gelegen. Damit könnte Wirecard zum größten Anleger-Schadenersatz-Verfahren in der deutschen Nachkriegsgeschichte werden. 

Bei Tilp sowie zahlreichen anderen, auf Anlegerklagen spezialisierten Kanzleien können Wirecard-Aktionäre mögliche Schadenersatzansprüche elektronisch hinterlegen. Die Kanzleien prüfen die Ansprüche und geben juristische Ratschläge zum weiteren Vorgehen. Die Geschädigten können dann entscheiden, ob sie die jeweilige Kanzlei auch offiziell beauftragen. In der Regel erteilten rund 40 Prozent der Profi-Investoren sowie 60 Prozent der Privatanleger nach Registrierung und Beratung auch ein Mandat, sagte Tilp.

Wirecard: Staatsanwaltschaft ermittel nun auch wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Bandenbetrug

Wirecard hatte Ende Juni Insolvenz angemeldet, nachdem sich in der Bilanz ein 1,9 Milliarden Euro tiefes Loch gezeigt hatte. An der Börse ging die Aktie in den freien Fall über. Binnen weniger Tage lösten sich über zwölf Milliarden Euro Börsenwert in Luft auf. Inzwischen läuft der Verkaufsprozess für Unternehmensteile.

Neben dem Verdacht der Marktmanipulation ermittelt die Staatsanwaltschaft München inzwischen auch wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und Untreue. Nach Erkenntnissen der Strafverfolger habe Wirecard jahrelang systematisch Bilanzen gefälscht und Umsätze aufgebläht.

Nun ermitteln die Strafverfolger auch noch wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Bandenbetrug. Erst am Mittwoch hatte die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass der frühere Wirecard-Chef Markus Braun nun erneut in Untersuchungshaft sei. Auch gegen den früheren Finanzvorstand Burkhard Ley sowie einen weiteren Manager seien Haftbefehle vollstreckt worden.

Wirecard-Insolvenz: Staatsanwaltschaft sieht Milliarden-Schaden

Die Staatsanwaltschaft wirft Ihnen vor, bereits seit 2015 Geschäfte mit Drittpartnern in Asien erfunden zu haben. Den Beschuldigten sei spätestens seit Ende 2015 klar gewesen, „dass der Wirecard-Konzern mit den tatsächlichen Geschäften insgesamt Verluste erzielte“, sagte eine Sprecherin der Behörde am Mittwoch. Der entstandene Schaden für Banken und andere Investoren liege nach aktuellen Erkenntnissen bei 3,2 Milliarden Euro. Hinzu kommen Milliardenverluste bei Wirecard-Anlegern. Inzwischen droht auch die Bundesregierung in den Wirecard-Strudel gezogen zu werden.

Wirecard: Kanzlei bereitet KapMuG-Sammelklage vor

Angesichts der Entwicklung hatte Tilp bereits Mitte Mai und damit rund sechs Wochen vor der Insolvenz des Zahlungsdienstleisters aus Aschheim beim Landgericht München Klage gegen das Unternehmen eingereicht und ein Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) beantragt. 

Dabei handelt es sich um eine Art Sammelklage wegen falscher oder irreführender Informationen des Kapitalmarkts, bei dem das Urteil des Musterklägers im Erfolgsfall auch für andere Geschädigte gilt, sofern sie sich dem Verfahren angeschlossen haben.

Voraussetzung für die Eröffnung eines Verfahrens nach dem KapMuG ist, dass sich mindestens zehn Kläger mit vergleichbaren Vorwürfen finden. Ist dies der Fall, verweist das zuständige Landgericht das Verfahren an das Oberlandesgericht. In München wäre damit das Bayerische Oberste Landesgericht zuständig. 

Wirecard-Sammelklage: Kanzlei prüft weitere Ausweitung der Schadenersatzansprüche

Neben Wirecard hat Tilp seine Klage vor dem Landgericht München inzwischen auch auf den früheren Vorstandschef Markus Braun, den früheren Vorstand Jan Marsalek, Finanzvorstand Alexander von Knoop und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (früher: Ernst & Young) erweitert. Doch auch dies könnte noch nicht das Ende sein. Man prüfe derzeit mögliche weitere Schadenersatzansprüche gegenüber Dritten, sagte Tilp. Inzwischen nimmt die Kanzlei auch die BaFin ins Visier. Am Donnerstagabend (23. Juli) reichten die Anwälte beim Landgericht Frankfurt eine Schadenersatz-Klage gegen die Behörde ein.

Der Kapitalrechtsspezialist gilt als einer der führenden deutschen Experten für Massenklagen. In den vergangenen Jahren hat der Anwalt zahlreiche viel-beachtete Musterverfahren geführt, darunter gegen die Deutsche Telekom sowie den Rechtsstreit um die Pleite der HypoRealEstate (HRE). Aktuell duelliert sich Tilp vor dem Oberlandesgericht Braunschweig in einem KapMuG-Verfahren wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation im VW-Dieselskandal mit den Anwälten des Autobauers.

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