Wirtschaftsbeirat der Union schlägt Alarm: Strompreischock gefährdet viele Jobs in Bayern

Die Börsenpreise für Strom und Gas sind 2021 teilweise um über 400 Prozent gestiegen, in Bayern sind etwa 350 000 Industrie-Arbeitsplätze abhängig von günstiger Energie.
Angelika Niebler, CSU-Politikerin aus Vaterstetten und Präsidentin des Wirtschaftsbeirats Bayern, sowie Albert Schleich, Vorsitzender des Verbandsausschusses für Energie- und Rohstoffpolitik, schlagen Alarm und fordern von der Bundesregierung die Abschaffung der EEG-Umlage und den massiven Bau von Gaskraftwerken.
Frau Niebler, Bürger und Wirtschaft ächzen unter den explodierenden Energiepreisen in Deutschland. Kennen Sie Betriebe, die deswegen ins billigere Ausland auswandern wollen?
Niebler: Der Energiepreis ist einer der zentralen Standortfaktoren, und es gibt viele Unternehmen, die sagen, wenn die Energiepreise so weitersteigen, müssen wir Standorte außerhalb Europas prüfen. Denn auch der Mittelstand muss global wettbewerbsfähig sein.
Strompreischock: Muss der Staat Bürger und Unternehmen entlasten?
Muss der Staat Bürger und Unternehmen stärker entlasten?
Niebler: Wir müssen endlich die EEG-Umlage (Sie legt die Kosten der Energiewende auf Verbraucher und Unternehmen um, die Redaktion) abschaffen und die Stromsteuer senken. Da liegt der Ball jetzt insoweit bei der Bundesregierung. Parallel dazu müssen wir die Energiewende so steuern, dass wir die Klimaziele erreichen. Darum geht es ja auch in der neuen EU-Taxonomie, in der festgelegt werden soll, was eine nachhaltige Anlage ist. Ich teile die Auffassung der EU, dass wir neben dem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien auch zahlreiche Gaskraftwerke zubauen müssen, um die Versorgungssicherheit in Deutschland garantieren zu können.
Ich habe 2011 gegen die Atomenergiegestimmt und stehe heute noch dahinter.
Stichwort Taxonomie: Die EU will auch Kernkraft als grüne Energie einstufen. Haben CDU und CSU sich selbst ein Bein gestellt, weil sie gleichzeitig aus Kohle- und Atomkraft ausgestiegen sind?
Niebler: 2011, als der Atom-ausstieg beschlossen wurde, hatten wir alle die Bilder des zerstörten Kraftwerks in Fukushima vor Augen, und es gab einen breiten gesellschaftlichen Konsens, aus der Atomenergie auszusteigen. Ich habe damals diese Entscheidung mitgetragen und stehe heute noch dazu. Und auch die Entscheidung über den Kohleausstieg ist gesellschaftlich gewünscht und in der Sache richtig.

Ihr politischer Urahn Franz Josef Strauß hat den Erfolg der bayerischen Industrie damals aber auf Kernenergie aufgebaut!
Niebler: Das war damals auch richtig: Wer produzierende Industrie im Land will, muss gewährleisten, dass die Stromversorgung sicher und bezahlbar bleibt. Heute, nach Fukushima und Tschernobyl, sehe ich keinen gesellschaftlichen Rückhalt für die Kernenergie. Zudem haben sich seit diesen Katastrophen die Rahmenbedingungen geändert: Wir haben mittlerweile beispielsweise den europäischen Energiebinnenmarkt aufgebaut, über den wir Strom beziehen können. Die Erneuerbaren Energien werden weiter ausgebaut, Wasserstoff ist künftig eine greifbare Option, neue Stromtrassen sind in Planung. Deshalb bin ich sicher, dass wir unsere Energieversorgung auch ohne Atomstrom bewältigen können.
Schleich: Auch die Betreiber selbst haben kein Interesse mehr, ihre Atomkraftwerke weiter zu betreiben, egal, ob Sie bei RWE oder PreussenElektra fragen. Das würden sie auch nicht tun, wenn es wirtschaftlich wäre. Zudem gäbe es auch große praktische Probleme, weil der Prozess Richtung Stilllegung schon im vollen Gange ist.
Niebler: Außerdem ist die Frage nach der Endlagerung immer noch nicht geklärt. Da ist der Ausbau von Gaskraftwerken weit risikoärmer und umweltfreundlicher.
Niebler zu russischem Gas: „Glaube nicht, dass wir uns abhängig machen“
Damit kauft man sich aber die Abhängigkeit von Russland ein.
Niebler: Ich glaube nicht, dass wir uns abhängig machen. Wir beziehen auch Gas aus Norwegen und anderen Ländern. Zudem beziehen wir LNG-Gas aus den USA. Und, wie gesagt: Auch über den Binnenmarkt haben wir die Möglichkeit, uns breit und sicher aufzustellen.
Zum Thema Gas gibt es aus Ihrer Partei sehr unterschiedliche Signale in Sachen Nordstream-2-Pipeline: Söder fordert eine schnelle Inbetriebnahme, der EVP-Vorsitzende Weber warnt, dass die Pipeline tot ist, sobald Russland die Ukraine angreift. Wer hat recht?
Da gibt es in der Tat unterschiedliche Meinungen. Ich bin der Auffassung, dass wir Nordstream 2 in Betrieb nehmen sollten, sobald die europäischen und nationalen Vorgaben erfüllt sind. Aber richtig ist auch: Wir müssen Vorkehrungen treffen, damit Russland uns nicht erpressen kann.

Aber das passiert doch schon, die deutschen Gasspeicher sind so leer wie selten zuvor. Gleichzeitig stellt Putin in Aussicht, dass die Gaspreise in Deutschland nach der Eröffnung von Nordstream 2 schnell fallen könnten.
Niebler: Meines Wissens nach hat Putin das geliefert, was er zugesagt hat. Dass die Speicher leer sind, liegt an einer mangelhaften Bevorratung. Und die Einschätzung, dass die Preise bei einem größeren Angebot fallen, ist eine realistische Einschätzung. Wir steigen aus der Atomenergie und Kohleverstromung aus. Daher brauchen wir Gas für unsere Versorgungssicherheit. Wir sollten daher einen langjährigen, großen Lieferanten nicht ausschließen.
Schleich: Man darf dabei nicht vergessen, dass Erdgas nur eine Übergangslösung ist, die neuen Kraftwerke wird man alle auch mit Wasserstoff betreiben können, wenn dieser in ausreichender Menge wirtschaftlich zur Verfügung steht.
Ohne Akzeptanz in der Bevölkerung wird die Energiewende nicht gelingen.
Was erwarten Sie jetzt von der Bundesregierung?
Niebler: Aufrichtigkeit. Es kann nicht sein, dass die größte Volkswirtschaft in der EU keine Meinung zum Taxonomie-Entwurf hat. Von Olaf Scholz höre ich nichts, die Grünen empören sich.
Schleich: Und wir müssen zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit den Ausbau der Gaskraftwerke vorantreiben, 40 000 MW bis 2030, das sind etwa 130 Kraftwerke à 300 MW. Denn eine installierte Leistung bei den Erneuerbaren nützt uns nichts, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.
„Unterm Strich sind wir nach 16 Jahren Merkel und einer unionsgeführten Bundesregierung in einer desolaten Versorgungssituation“
Dennoch müssen wir unter anderem die Zahl der Windräder vervielfachen. Da ist die bayerische 10H-Regel doch nicht haltbar!
Niebler: Die 10H-Regel verhindert den Bau von Windrädern ja nicht. Jede Kommune kann einen kleineren Abstand zur Wohnbebauung beschließen, und diese Beschlüsse sollten mit der Bevölkerung vor Ort getroffen werden, nicht über ihre Köpfe hinweg.
Entschuldigung, da lügen Sie sich doch in die Tasche! Fakt ist, dass 2014, als 10H beschlossen wurde, in Bayern noch 156 Windräder gebaut wurden. 2021 waren es acht.
Schleich: Sie sehen aber auch in Baden-Württemberg, wo es keine 10H-Regel gibt, keine höheren Ausbauzahlen. Denn ohne Akzeptanz in der Bevölkerung wird die Energiewende nicht gelingen, die Bürger haben auch eine starke rechtliche Position, um gegen Projekte vorzugehen.
Keine Kohle, kein Atomstrom, kaum Windenergie: Unterm Strich sind wir nach 16 Jahren Merkel und einer unionsgeführten Bundesregierung in einer desolaten Versorgungssituation. Muss man den Bürgern jetzt nicht klarmachen, dass der Strom irgendwo herkommen muss?
Niebler: Ich denke nicht, dass wir in einer desolaten Situation sind. Die Stromausfälle halten sich bei uns bislang in Grenzen. Dennoch brauchen wir für die Zukunft weit mehr Energie, als wir heute haben. Deshalb müssen gerade jetzt auch unpopuläre Entscheidungen getroffen werden. Auch der Bau von Gaskraftwerken ist nicht populär, auch diese brauchen Platz und stoßen CO2 aus. Wir müssen die Bürger ausreichend informieren und um Akzeptanz werben. Denn die Energie- und Klimawende kann nur mit und nicht gegen die Bürger gelingen. Interview: Georg Anastasiadis Markus Mäckler Matthias Schneider